Slavko Ninić im Gespräch mit Gerald Grassl. Wien, 2001
Vor mehr als 12 Jahren haben 3 "Tschuschen" in Wien eher aus Spaß eine Musikgruppe gegründet. Inzwischen ist die "Wiener Tschuschenkapelle" fast eine "Institution" geworden und füllt - auch international - die Konzertsäle. Soeben ist ihre 5. CD "Live & davon..." auf den Markt gekommen. Im August ist die Gruppe auf einer Tournee durch Brasilien. Mit Slavko Ninic sprach Gerald Grassl.
Die Wiener Tschuschenkapelle gibt es seit etwa 12 Jahren. Ihr habt damals zu dritt begonnen...
Slavko Ninic: Es gibt uns schon länger. Aber vor 12 Jahren haben wir professionell zu musizieren begonnen. Vorher hießen wir übrigens "Erste Wiener Tschuschenkapelle". Das war so eine Gaudi-Partie, aus der sich dann ein wirklich professionell arbeitendendes Ensemble herausentwickelt hat.
Eine "Gaudi-Partie" seid ihr aber heute noch.
Slavko Ninic: Na hoffentlich haben wir die Gaudi nicht verlernt. Aber ich hoffe, dass wir inzwischen - zumindest was die Musikalität betrifft - dazugelernt haben.
Ihr heißt "Tschuschen-Kapelle" aufgrund eurer bunten ethnischen Zusammensetzung. Woher kommen die Leute der Gruppe?
Slavko Ninic: Aus den Tschuschenländern. Dazu zählt vor allem das ehemalige Jugoslawien, woher ich stamme. Hallo! Ich bin nun aus Kroatien. In der Band ist dann weiters ein Türke. Ein Österreicher sowieso. Der war von Anfang an dabei. Er ist ein "klassischer" Österreicher.
"Klassische" Österreicher gibt es aber kaum.
Slavko Ninic: Na ja. Nach einer gewissen Zeit die man hier ist, wird man dann auch "klassisch". An unserer neuen CD hat auch ein Pole mitgearbeitet. Es gibt weiters einen Bulgaren, oft waren Griechen bei uns Gäste. Außerdem gibt es als Gast auch einen Slowenen, der Dirigent an der Oper ist usw. Wir sind also eine bunte Gesellschaft.
Und bist du nun Kroate oder hast du die österreichische Staatsbürgerschaft?
Slavko Ninic: Ich bin gebürtiger Kroate, habe aber die österreichische Staatsbürgerschaft. Meine Eltern stammen ursprünglich aus Bosnien, sind aber bosnische Kroaten. Die mussten schon nach dem II. Weltkrieg emigrieren, weil Bosnien ausgehungert war. Es war so ähnlich wie heute in Bosnien. Diese Nationalitätenkonflikte im ehemaligen Jugoslawien sind ja nicht etwas Neues, sondern das hat es früher auch schon gegeben. Die sind damals nach Kroatien in das Gebiet von Slavonien emigriert, wenn dir das ein Begriff ist. Das ist dieser Ausläufer der pannonischen Tiefebene unterhalb von Ungarn. Ursprünglich ein reiches landwirtschaftliches Land, heute nicht mehr, denn die Landwirtschaft ist jetzt nicht mehr so gefragt wie früher. Aber damals war das ein reiches Land zum Leben und ein gutes Land um zu arbeiten.
Als ich dich 1974 kennengelernt habe, hast du in Wien Dolmetsch studiert und später als Dolmetscher für den ORF - mit eigener Sendung - gearbeitet. Machst du das heute auch noch?
Slavko Ninic: Das war damals vom Wiener "Zuwanderungsfonds", so hat das geheißen. Ich glaube das gibt es heute auch noch. Da habe ich eine Sendung gemacht, die hat glaube ich "für jugoslawische Gastarbeiter" geheißen. Da wurden in 5 Minuten verschiedene Probleme aus dem Berufs- und Alltagsleben abgehandelt. Da wurde informiert, was eine Abfertigung ist, oder wann kann ich in Pension gehen und solche Geschichten halt. Aber der Auftrag war, dass man nicht politisieren darf. Also reine, wertfreie Informationen durften nur gebracht werden. Ich habe mich mehr oder weniger daran gehalten.
Also bist du ein geprüfter Diplom-Dolmetscher?
Slavko Ninic: O ja, denn inzwischen habe ich diese ominöse Prüfung für den gerichtlich beeideten Dolmetscher geschafft.
Damit wärst du ja eigentlich ein hervorragender Vorzeige-Tschusch für die F! Die wollen ja, dass Ausländer hervorragend Deutsch können müssen, obwohl sie selbst keinen geraden Satz zusammenbringen. Ist das nun dein "Brotberuf" oder bist du inzwischen Berufsmusiker geworden?
Slavko Ninic: Was ist ein Berufsmusiker? Was ich studiert habe, übe ich nur mehr wenig aus. In Zagreb habe ich ja ursprünglich Soziologie studiert. Ich bin Diplom-Soziologe. In Wien machte ich die Dolmetscher-Ausbildung. Aber ich lebe in erster Linie von der Musik. Also bin ich nun wohl ein Berufsmusiker, oder?
Wann bzw. wie bist du überhaupt nach Wien gekommen?
Slavko Ninic: Ich habe 1972 in Kroatien die Matura gemacht. Danach hats mir gereicht. Und wollte kein Buch mehr anschauen, sondern in die Welt und arbeiten. Ein Freund hat schon in Wien gearbeitet und hat mir geschrieben, dass ich kommen soll. Es gibt auch Arbeit. Das hätte aber auch ein anderes Land, eine andere Stadt sein können. Das war ein bisschen Abenteurertum. Gehn wir halt in die Welt wie Tom Sawyer. Ich habe damals in einer kleinen Baufirma gearbeitet. Da waren vielleicht 50 Leute beschäftigt. Wir waren fast nur Türken, Kurden und Jugoslawen. Der Betrieb gehörte Ing. Lugner. Ich habe jetzt irgendwo gelesen, dass Herr Lugner bei einer Wahlveranstaltung versprochen hat, dass man die Türken nicht mehr "durchfüttern" werde. Es waren Türken und andere Tschuschen, die ihm sein Imperium aufgebaut haben.
Und warum bist du in Wien geblieben?
Slavko Ninic: Sicher nicht wegen dem Herrn Lugner. Eines Tages saß ich von der Arbeit am Bau total erschöpft und verdreckt bei der Straßenbahnhaltestelle. Die Leute, alles so nette Menschen, schön angezogen und frisiert, sind vorbei und schauten mich an, als ob ich deswegen der letzte Dreck wäre. Da hat es mir gereicht. Ich beschloss, wieder zu studieren.
Ich diskutiere immer wieder mit Leuten über den Begriff "Tschusch". Woher stammt dieses Schimpfwort eigentlich?
Slavko Ninic: Ich kenne natürlich die Definition von Peter Wehle aus dessen Wörterbuch, aber davon halte ich nichts. Da steht drin, dass sich Arbeiter beim Bau der Südbahn zugerufen haben sollen "cujez!" = "Hörst du?!" Und so habe sich das mit der Zeit für die Leute eingebürgert, die sich das zugerufen haben. Das glaube ich aber nicht. Ich glaube eher, dass das aus dem Russischen kommt: "cuzaj". Das heißt Fremder. Ich stelle die These auf, dass die Österreicher so genannt worden sind. Nämlich von den Slawen. Und hier wurde es dann von den Österreichern auf die anderen umgemünzt.
Ich kenne eine ähnliche Geschichte aus dem Hebräischen. Aber am meisten leuchtete mir ein, dass das Wort von den deutschen Sprachinseln wie Siebenbürgern stammen soll. Dass "Tschusch" eine Verballhornung für "Deutsch" wäre. Dass man die deutschen Minderheiten in slawischen Gebieten die Deutschen, also die Tschuschen nannte.
Slavko Ninic: In den deutschen Sprachinseln nannte man Deutsche oft "Nemec". Ein Nemec ist ein Stummer, also einer, der nicht sprechen kann oder den man nicht verstehen kann.
Wie auch immer - ich finde es witzig, dass eigentlich die Deutschsprachigen die "Tschuschen" sind. Dennoch meine ich, dass in den 70er-Jahren "Tschusch" eines der grauslichsten, fremdenfeindlichsten Schimpfwörter war. Nun habe ich den Eindruck, dass sich das gewandelt hat. Man hört es kaum noch. Und wenn, dann eher - wie auch bei euch - (selbst-) ironisch.
Slavko Ninic: Es war immer schon ein stilles Anliegen der Wiener Tschuschenkapelle, sich darüber nur lustig zu machen. Dadurch versuchten wir wenigstens in dem kleinen Bereich der Gehässigkeit die giftige Spitze zu nehmen. Ich hoffe, es stimmt, was du sagst. Ja, ich glaube es sogar, denn inzwischen kennen so viele Leute die Tschuschen-Kapelle und können über das Wort Tschusch nur mehr lachen.
Allerdings habe ich den Eindruck, dass sich eure Gruppe in der Selbstdarstellung ziemlich verändert hat. Früher war jeder Auftritt auch eine kleine politische Manifestation gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Nicht mit dem Holzhammer, sondern mit der feinen Klinge. Aber bei eurem letzten Auftritt hatte ich diesen Eindruck nicht mehr. Da ging es "nur" mehr um die Musik und die CD. Ihr seid zwar nicht in der folkloristischen Ecke gelandet, aber es geht hauptsächlich um den Spaß.
Slavko Ninic: Das tut mir natürlich leid, wenn wir keinen politischen Auftrag mehr erfüllen...
Vielleicht sehe ich das auch nur falsch und du beweist mir etwas anderes....
Slavko Ninic: Allein durch die Tatsache, dass wir diese Musik spielen, dass wir uns so nennen, dass wir das Multikulturelle (das ist ja inzwischen schon ein Schimpfwort geworden) weiterhin pflegen, dass wir mit diesen Programmen sehr viele Menschen erreichen, glaube ich, dass das für sich spricht. Da soll man nicht künstlich eine politische Agitation draufpflanzen. Es ist klar, wo wir politisch stehen und welche Botschaften wir vermitteln. Es ist auch klar, welche politischen Parteien das nicht tun bzw. das Gegenteil tun. Das braucht man nicht so plakativ vor sich hertragen. Es ist wichtiger, wenn unsere Botschaft über Musik ins Ohr geht, und die Leute sagen, da gibt es die Wiener Tschuschen-Kapelle und die machen eine leiwande Musik.
Ein Problem für Künstler ist, dass viele von ihnen pausenlos kostenlos für diverse Benefizaktionen durchs Land touren könnten. Von ihnen nimmt man automatisch an, dass sie zu (fast) jeder Zeit für "politisch korrekte" Anliegen gratis aufspielen. Aber (Berufs-) Künstler müssen schließlich auch von etwas leben. Außerdem haben Gruppen wie die eure auch hohe laufende Kosten, die bezahlt werden müssen.
Slavko Ninic: Es ist vor allem in der linken Szene eine Tradition, Musiker anzuheuern, damit sie Benefiz spielen. Ich habe nichts dagegen. Ich mach das auch gerne und wir spielen auch weiterhin Benefiz-Programme wenn es um Ausländer, Kinder sowieso, wenn es um gesellschaftlich relevante Themen geht. Aber es ist das Problem, wenn man Berufsmusiker ist und versucht davon zu leben, muss man auch Geld verdienen. Vor allem sind das Equipment und das ganze Rundherum relativ teuer. Aber das verstehen die Leute nicht immer. Wir haben eine Anlage, die kostet sehr viel Geld. Dann haben wir einen Bus, das darf auch nicht das letzte Auto sein, sonst kommen wir nie oder total kaputt an unserem Ziel an. Es muss alles technisch in Ordnung sein und funktionieren. Und wenn die Veranstalter gewohnt sind, dass die Musiker immer umsonst kommen, dann bemühen sie sich auch weniger um Sponsoren und Einnahmequellen. In der Szene gibt es den Spruch "gute Veranstalter bezahlen Gagen, schlechte Veranstalter machen Benefize".
Aber auch das Publikum ist bei Benefiz-Veranstaltungen meistens anders. Weil es nichts kostet, meinen die Leute oft, dass es auch nichts oder wenig "wert" ist. Wenn die Leute normalen Eintritt bezahlen müssen, wollen sie auch etwas für ihr Geld haben. Da sind meistens die Aufmerksamkeit und Konzentration wesentlich höher.
Slavko Ninic: Ich muss die Veranstalter aber auch in Schutz nehmen. Ich habe den Eindruck, dass es Veranstalter mit gesellschaftlich-politischen Anliegen in Österreich derzeit nicht leicht haben. Denen ist es nie gut gegangen. Aber derzeit geht es an ihre Substanz. Die kalkulieren von Haus aus schon auf einer Selbstausbeutung. Wenn man denen dann 10% an Förderungen kürzt, stürzt gleich alles zusammen, weil da ist nichts mehr, wo man sparen könnte. Das betrifft vor allem viele kleine lokale Initiativen, Clubs und Vereine. Es gibt aber in der Branche auch schlechte Gewohnheiten. Dazu möchte ich gerne eine Geschichte erzählen, die mir am Herzen liegt: Wir sind einmal gebeten worden, ein Benefiz für einen engagierten Menschen zu spielen, der in irgendwelche Troubles gekommen ist. Der Erlös soll dazu dienen, seine Rechtsanwaltskosten zu bezahlen. Und das ist bezeichnend. Viele Musiker müssen auf die Bühne, um einen Anwalt zu bezahlen. Nicht, dass man verlangt oder annimmt, dass der Rechtsanwalt einfach auf seine Gage für einen engagierten Kumpel verzichtet. Und das sagt halt auch einiges über die "Wertigkeit" von Musik und Musikern aus.